Wandernde Jugend – Jugendherberge

Teil 4

Um 1900 gab es neben den Wandervereinen für Erwachsene zwei Wanderbewegungen der Jugend. Der Student Karl Fischer knüpfte an die Wanderung der Scholaren im Mittelalter an, die von Schule zu Schule wanderten, um ihren Bildungshorizont zu erweitern. Fischer und seinen Mitwanderern ging es um naturverbundenes Wandern, weitgehend unabhängig von der Elterngeneration und um einen jugendspezifischen Lebensstil. Diese Bewegung nannte sich Wandervogel und breitete sich besonders unter Schüler und Studenten bürgerlicher Herkunft im deutschsprachigem Raum aus. Der Wandervogel stellte den Beginn der Jugendbewegung dar, die auch für Reformpädagogik, Freikörperkultur und Lebensreformbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wichtige Impulse setzte. Die zweite Bewegung entstand im pädagogischen Bereich. Umfassendes Lernen fand nach Meinung von Pädagogen auch außerhalb des Schulzimmers und besonders beim Wandern in freier Natur statt. Neben der Wissensvermehrung und dem Lernen mit allen Sinnen leistete jede Wanderung einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen Schülers. Der aus Ostpreußen stammende „ wanderdolle“ Lehrer Richard Schirrmann (1874 – 1961) unterrichtete ab 1903 in Altena im Sauerland und führte öfters mehrtägige Wanderungen mit seinen Schülern durch. Er war bei der nächtlichen Unterbringung auf das Wohlwollen von Bauersleuten, Gastwirten und Schulleitern angewiesen. Als er eines Tages für seine völlig durchnässte Schülerschar kein Nachtquartier ausfindig machen könnte, ersann er die Idee, für Wander-Schülergruppen ein Netz von festen Aufenthalts-und Schlafmöglichkeiten im Lande einzurichten. Zunächst setzte er seine Idee in einer Schule um. Das Provisorium wurde dann auf die Burg oberhalb der Stadt Altena verlagert. So entstand im Jahr 1909 die erste Jugendherberge. Bald ging diese Idee um die ganze Welt. Die Stadt Wiesensteig gehört zu den wenigen Orten im Lande, die vorausschauend von Anfang an, der wandernden Jugend eine billige Übernachtungsmöglichkeit in einer reizvollen Landschaft eingerichtet hat.

Alois Seitzer, gebürtig aus Wiesensteig, schreibt in seinem Manuskript über die Jugendherbergen in Wiesensteig: „Seit Inbetriebnahme der Tälesbahn und die dadurch bedingte Ablösung des Postkutschen-Unternehmens im Oktober 1903 standen bei Posthalter Karl Schmid einige Räume frei. Findig wie er nun einmal war, gestaltete er diese zu einer „Schülerherberge“ um. Dazu brauchte er keine großen Aufwendungen, denn die Ansprüche der damaligen Wanderjugend waren ihrer Lebenseinstellung angepasst: einfach, schlicht, natürlich, bescheiden. Strohsäcke dienten als Schlafstellen, und der Nahe liegende Brunnen reichte aus für eine morgendliche Wäsche„. 1909 wurde in einem Zeitungbericht Wiesensteig als eine von 15 Schülerherbergen in Württemberg genannt. Nach dem ersten Weltkrieg wurden einzelne und regionale Schülerherbergen im Deutschen Jugendherbergsverband zusammengefasst und neue Maßstäbe würden im Herbergswesen gesetzt. Diesen konnte die „Postherberge“ nicht mehr im vollem Umfang genügen. Ersatz fand man vorübergehend im Haus Hauptstraße 52 schräg gegenüber dem Schloss. Herbergsmutter war Auguste Schmid. Dies war aber noch nicht die endgültige Lösung, wie aus den nachfolgenden Auszügen aus Schriftstücken hervorgeht

Der Wunsch des Filsgau-Vorsitzenden Kohlers nach Einrichtung einer Jugendherberge in Wiesensteig ging im Bericht der Hauptversammlung vom 9. März 1924 wohl für kurze Zeit vorübergehend in Erfüllung. Unter Punkt Sonstiges schreibt Otto Sorn: „Jugendherberge auf dem Malakoff. Zunächst 10 Bettstellen. Angegliedert an den Grossgau Schwaben, des Vorstandes der Deutschen Jugendherbergen.“

Im Jahr 1931 schrieb Sorns Nachfolger, Forstmeister Wurm, an den Verband Schwäbischer Jugendherbergen in Tübingen und nahm darin Bezug auf eine Unterredung mit Professor Nägele, der an der Dauer-Einrichtung einer Jugendherberge in Wiesensteig sehr interessiert war. Als Gebäude war die historische Zehntscheuer im Gespräch. 1932 wurde das Gebäude nach einigen Umbaumaßnahmen als Jugendherberge mit 44 Übernachtungsplätzen geöffnet. Die ersten Herbergseltern waren Robert Bachofer und seine Frau. Während des Krieges diente das Gebäude vorwiegend als Ferien- und Ernteeinsatzlager. Nach dem Krieg erlebte die Jugendherberge unter den Herbergseltern Adalbert und Marlene Dittrich eine Blütezeit. 1968 hatte die Jugendherberge 70 Betten und 7647 Übernachtungen im Jahr. Schülerinnen und Schüler und die begleitende Lehrerinnen und Lehrer der Nobel School aus Stevenage bei London waren über die Zeit des Austausches zwischen Deutschen und englischen Jugendlichen aus Wiesensteig und Umgebung von 1976 bis 1988 unter der Leitung von Miss Irene Auerbach hier bestens untergebracht. Leider wurde die Wiesensteiger Jugendherberge 1993 vom Herbergsverband geschlossen und das Gebäude später verkauft. Die Gründe waren: Zu wenig Übernachtungen, unwirtschaftliche Betriebsführung, fehlen ausreichender Stellplätze, keine Freiflächen und sanierungsbedürftiger Zustand. Auch die Jugendherberge in Geislingen an der Steige wurde geschlossen. Die einzige Jugendherberge im Landkreis Göppingen steht in Hohenstaufen.

Überall in der Welt entstanden Jugendherbergen, die international Youth Hostels genannt werden. In 90 Ländern gibt es über 4000 Jugendherbergen. Neben der Förderung des Jugendreisens ist das gemeinsame Eintreten für Frieden und Völkerverständigung durch den Interkulturellen Austausch junger Menschen als ideelle Zielsetzung unverändert vorhanden.

Ein Mann, der sich große Verdienste um den Schwäbischen Albverein und das Jugendherbergswesen erworben hat, war Georg Fahrbach (geb.1903) aus Criesbach im Kochertal. Seine Leidenschaft fürs Wandern kam aus der Wandervogelbewegung, der er aber nicht angehörte. Nach seiner Ausbildung wanderte er in der Stuttgarter Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins mit. Das häufige Einkehren, die Regenschirme und manch anderes störten den überzeugten Wanderer aber sehr und er zog sich wieder zurück. Auf Wunsch des Jugendleiters Wilhelm Walter gründete er den Jung-Albverein, der den Erwachsenen gar nicht gefallen wollte. Der Ortsgruppen-Ausschuss verbot diese Gruppierung. Fahrbach kümmerte sich nicht darum und er wanderte mit den Jugendlichen nach eigener Art. Nach wenigen Jahren erkannten die Erwachsenen, dass diese „Jungen“ auf dem rechten Weg waren. Er wurde Obmann der Stuttgarter Ortsgruppe und leitete diese bis 1957. Georg Fahrbach fühlte sich der Natur sehr verbunden. Er sah den Menschen als Teil der Natur, ohne die der Mensch nicht leben könne. Er sei ihr Gestalter und nicht ihr beherrschender Tyrann. 1939 gründete er den Albvereins-Naturschutzdienst. Nach dem Krieg war Fahrbach maßgeblich am Wiederaufbau des Deutschen Jugendherbergswerks beteiligt und von 1953 – 1961 dessen Vorsitzender. Er setzte sich stark für das Schüler- und Jugendwandern ein und den Bau von Herbergen in die Natur und auf Berge abseits von Lärm und Staub der Städte und der Hast des Verkehrs.